Alleingeburt in México
Als wir erfahren haben, dass wir unser drittes Kind erwarten, waren wir bereits hier in Mexiko. Wir hatten es scheinbar ohne unser Wissen importiert, denn kurz nach unserer Ankunft begann die Übelkeit und die langsame Erkenntnis dass ich schwanger sein muss.
Um das Thema der Geburt haben wir uns zu diesem Zeitpunkt wenig Gedanken gemacht, uns war nur schon seit der Geburt unserer zweiten Tochter klar, dass wir beim nächsten Mal eine Hausgeburt wählen würden.
Unsere beiden ersten Kinder wurden beide im selben Krankenhaus in Wiesbaden geboren, und es waren beide gute Geburtserfahrungen. Beide Male ging es problemlos und ohne medizinische Hilfe, sodass ich wusste dass mein Körper weiß wie er ein Kind auf die Welt bekommt.
In den ersten Monaten meiner dritten Schwangerschaft nahmen wir Kontakt zu einer deutschen Hebamme auf, die sich in Mexiko ganz in der Nähe zu uns befand. Wir trafen uns und konnten uns eine Hausgeburt mit ihr vorstellen. In der Zeit darauf kamen allerding Zweifel auf, da ihr Touristenvisum sozusagen zum errechneten Geburtstermin ablaufen würde und man nie mit Sicherheit sagen kann, ob ein Visa-Run erfolgreich werden würde. Außerdem war sie auf der Suche nach einem geeigneten Ort für sich und ihre Kinder hier in Mexiko und es zeichnete sich schnell ab, dass sie nicht hier in der Nachbarstadt bleiben würde. Für uns kam es nicht in Frage ihr hinterher zu reisen, da ja das Visumsproblem weiterhin bestand. Als dann die Frage aufkam ob wir sie auswählen und teilweise im Voraus bezahlen sollen, entschieden wir uns dagegen. Damit ließen wir Anfang des Jahres das Thema wieder ruhen und beschäftigten uns mit anderen Dingen.
Inzwischen wuchs mein Bauch und ich konnte das Baby spüren wenn es sich bewegte. Bei den vorangegangenen Schwangerschaften hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits einige Arztbesuche und Ultraschalluntersuchungen hinter mir. Diese hatten bei mir aber immer Unbehagen ausgelöst und im Gegenteil zu vielen Schwangeren hat es mich nicht beruhigt, dass man mit akribischer Testerei versucht hat herauszufinden ob es mir und dem Baby gut geht. Ganz im Gegenteil ging es mit immer zwischen den Terminen gut, und der Arzttermin selbst hat fast jedes Mal zu Panik und Tränen geführt. Trotzdem habe ich mich vorallem in der ersten Schwangerschaft zu sämtlichen Untersuchungen und Terminen einladen lassen und habe nur ein einziges Mal „rebelliert“ als ich Heiligabend nicht zu der Vorsorge ging, die man nach Überschreiten des errechneten Termins alle zwei Tage wahrnehmen sollte. Vier Tage später kam unsere erste Tochter auf die Welt und ich hatte mir schon Sorgen gemacht wegen des verpassten Termins Ärger zu bekommen. Tatsächlich sagte im Krankenhaus niemand etwas dazu, was mich aufatmen ließ. Aber ganz ehrlich, was hätte man zu dem Zeitpunkt daran noch ändern können?
Bei der Schwangerschaft meiner zweiten Tochter wollte ich eigentlich alles anders machen, ging dann aber doch erstmal zu meiner bisherigen Frauenärztin um mir überhaupt die Schwangerschaft bestätigen zu lassen. Im Nu war ich in der Routine gefangen, die Termine für die nächsten Monate waren alle schon vereinbart und einen alternativen Weg zu gehen habe ich dann über den Haufen geworfen oder vielleicht eher einfach ignoriert.
In den letzten Monaten der zweiten Schwangerschaft kam dann plötzlich C. ins Spiel und gab mir die Möglichkeit aus der strengen medizinischen Routine auszubrechen. Als plötzlich alle Schulen geschlossen wurden kam es mir unangemessen vor meinen Vorsorgetermin wahrzunehmen. Ich meine, ich war ja nicht krank und sollte man nicht nur noch zu Notfällen überhaupt das Haus verlassen, geschweige denn Ärzte belasten? Nun gut, somit ließ ich zumindest jeden zweiten Vorsorgetermin verfallen und als man dann auch als Patient eine Maske tragen musste trieben mich nach einmaliger Erfahrung desgleichen keine zehn Pferde mehr in die Praxis.
Das war bereits gegen Ende der Schwangerschaft, allerdings aus ärztlicher Sicht ein No-Go da man ja gerade gegen Ende alles noch viel engmaschiger überwachen sollte als zu Beginn. Jetzt kam unsere zweite Tochter tatsächlich erst 9 Tage nach dem errechneten Termin zur Welt und ich war nicht ein einziges Mal bei einer der Vorsorgen, die alle zwei Tage stattfinden müssten. Mein Plan war, so lange zu Hause zu warten bis die Geburt im vollen Gange war und sozusagen auf den letzten Drücker im Krankenhaus einzureiten. Der Plan ging auf, eine Stunde vor der Geburt kamen wir dort angerast und niemand kam auf die Idee mir in meinem Zustand Fragen zu stellen, Vorwürfe zu machen oder zu verlangen, dass ich eine Maske aufsetzen muss. Insgesamt ein voller Erfolg, das Kind kam einfach so auf die Welt, geboren habe ich es selbst, aufgefangen und hochgenommen auch, wir durften vier Stunden später wieder nach Hause, die anwesenden Geburtshelfer haben nicht viel dazu beigetragen.
Zurück nach Mexiko.
Mit diesen Erfahrungen in der Tasche wussten wir also, dass uns Arztbesuche keine Sicherheit geben und die Geburt recht unmedizinisch verlaufen kann. Ich hatte gehört, dass es eine Hebamme in unserem Ort geben soll, die eine Hausgeburt begleiten würde. Ich nahm also mit ihr Kontakt auf, sie hatte kein Visumsproblem, und ich konnte es mir mit ihr tatsächlich vorstellen. Sie sprach nur spanisch, was mich bei unserem ersten Treffen herausgefordert hat und doch hatte ich es ganz gut gemeistert. Allerdings haben mich die ganzen Informationen auch überfordert und erst im Nachhinein und in vielen Gesprächen mit Dominik hat sich für uns herauskristallisiert, dass wir uns nicht ganz wohl mit ihr fühlten. Um sich abzusichern wollte sie einige Laboruntersuchungen, mindestens zweimal einen Ultraschall und einen 12-stündigen Geburtsvorbereitungskurs von uns. Das alles war genau das, was wir nicht wollten und ich habe versucht mit ihr etwas anderes auszuhandeln. Sie blieb aber dabei, ohne diese Dinge könne sie uns nicht begleiten.
Jetzt hatten wir nicht mehr viele Optionen, denn es war klar dass auch eine andere Hebamme diese oder ähnliche Bedingungen haben würden. Wahrscheinlich wären wir mit Nina, der deutschen Hebamme vom Anfang, unserer Vorstellung noch am nächsten gekommen.
Mittlerweile hatte ich mit einigen Frauen in meiner unmittelbaren Umgebung tiefgehende Gespräche geführt und es waren einige dabei, die ihre Kinder zu Hause und alleine bekommen hatten. In der Regel wurde dort die Hebamme zu spät oder erst nach der Geburt angerufen, teilweise unbeabsichtigt, teilweise aber auch mit voller Absicht. Das hat mich in meinem Entschluss bestärkt, dass wir unser drittes Kind alleine bekommen wollen. Ich habe ein Buch über das Thema Alleingeburt gelesen, was mir ebenfalls nocheinmal das Gefühl bestätigt hat, auf dem für mich richtigen Weg zu sein. Dieser Weg ist sicherlich nicht für jede Frau der richtige, und man kann ihn auch nur gehen, wenn man einen starken Partner an der Seite hat, der diese Entscheidung zu hundert Prozent mitträgt.
Ich habe mich positiv auf die Geburt eingestimmt und darauf vertraut, dass es so funktionieren würde wie ich es mir vorgestellt habe. Den Zweifeln habe ich mich nicht hingegeben und auch sonst habe ich mir keine Sorgen in Bezug auf die Geburt gemacht. Dominik hatte die Aufgabe sich damit zu beschäftigen was wir im Notfall tun und einen Plan diesbezüglich zu machen. Ich wollte davon möglichst wenig wissen, wäre ihm diesem Fall dann gefolgt.
Eigentlich wollte ich den Menschen in meiner direkten Umgebung und auch Übersee nichts von unserem Plan erzählen, da mir sehr bewusst war wie ungewöhnlich er ist und welche Sorgen und Ängste er in allen Menschen auslösen kann. Es stellte sich dann aber heraus, dass ich grottenschlecht lügen kann und so wussten dann doch mehr Menschen davon als ich geplant hatte. Eigentlich wusste es in Deutschland nur meine Mutter, aber ich habe das Gefühl dass sie es dann doch auch mit einigen Personen besprochen hat und sich somit die Anspannung dort auch gesteigert hat.
Nicht unbedingt hilfreich war auch, dass sich unser Baby nicht annähernd an den errechneten Geburtstermin halten wollte. Ganze 16 Tage mussten wir darüber hinaus warten, eine Menge Zeit um Zweifel zu bekommen oder in Panik zu geraten. Ich habe es geschafft mich dem zu entziehen und habe einfach geduldig weiter gewartet, Tag für Tag.
Unter ärztlicher Aufsicht wäre es ja gar nicht möglich gewesen, denn eigentlich wird spätestens 14 Tage nach dem Termin die Geburt künstlich eingeleitet. Und wahrscheinlich hätte auch die Hebamme das nicht mitgemacht, sodass wir mit ihr wohl dann doch im Krankenhaus gelandet wären.
Jedenfalls waren die letzten Wochen vor der Geburt recht beschwerlich für mich. Es war sehr warm, ich habe viel geschwitzt und mich nicht immer so wohlgefühlt mit dem dicken Bauch. Es fühlte sich so an, als wollte es niemals losgehen und ich dachte schon ich müsste für immer schwanger bleiben.
Aber plötzlich war er dann da, der Tag der Geburt, der Geburtstag unseres Babys.
Um 2 Uhr in der Nacht setzten leichte Wehen ein, die mich aus dem Schlaf holten. Noch mit Abständen von ca 15 Minuten konnte ich es mir im Wohnzimmer schön gemütlich machen und genug Trinken und essen bereitstellen. Am Tag vorher hatte ich noch in einem Anfall von Nestbautrieb alle Spielsachen aufgeräumt und alles schön gekehrt.
So habe ich dann bis zum Morgengrauen auf meinem blauen Gymnastikball gesessen und die Hüften kreisen lassen. Meine Freundin Anna hat mich über den großen Teich per Textchat unterstützt, bei ihr in Italien war schon mitten am Tag. Sie war kurz zuvor aus Mexiko abgereist, und eine meiner wichtigsten Unterstützerinnen in unserem Vorhaben.
Irgendwann wachte dann der Rest der Familie auf und so begann der Tag fast wie immer.
Ich bin dann dazu übergegangen am Esstisch ein 1000 Teile Puzzle zu machen, eine Tradition die ich aus den vorangegangenen Geburten mitgenommen habe. So war ich gut beschäftigt und konnte die Kinder relativ gut ausblenden. Die üblichen Anfragen von „ich will ein Eis“, „wer putzt mich ab“ usw. habe ich getrost Dominik überlassen. Die Kinder haben gemerkt, dass etwas anders ist als sonst und mich weitestgehend in Ruhe gelassen. Unsere große Tochter hatte sich ja schon lange auf die Geburt des Geschwisterchens gefreut und war wohl gespannt wie das ablaufen würde. Unsere Zweijährige hatte zu der Mitteilung, dass jetzt die Geburt des Babys ansteht nur einen Kommentar: „Nein, ich Baby!“
Hm ok, sie würde schon noch merken was das alles für sie zu bedeuten hat.
Ich wehte derweil vor mich hin, recht erträglich aber in immer kürzer werdenden Abständen.
Irgendwann wollte ich dann, dass Dominik das Tragetuch in einer Tür oben einklemmt, sodass ich mich daran festhalten konnte, denn ich hatte mir vorgestellt das Kind im Stehen zu bekommen. Gerade noch rechtzeitig wechselte ich vom Ball zum Tragetuch, denn dann wurden die Wehen ziemlich intensiv und die Erfahrung der letzten Geburten sagte mir, jetzt geht es zur Sache. Genaue Uhrzeiten weiß ich nicht, aber die Zeit die ich in der Position verbracht habe kam mir wie eine Ewigkeit vor.
Einen Satz den man von seinem Partner in der Situation niemals hören will ist „Das dauert noch länger“. Hab ich meinem Mann verzweifelt klargemacht, danach hat er sowas nicht mehr erwähnt.
Die Kinder haben unterdessen fröhlich Ferngesehen oder vertieft irgendwas gespielt. Die Kleine hat eher wenig mitbekommen, die Große war hin und hergerissen ob sie jetzt hinschauen soll oder nicht. Ich fand es ganz gut, dass sie sich entscheiden konnte der Geburt oder dem Film zu folgen. Am Ende hat sie wohl beides gemacht, so wie es ihr gepasst hat.
Am Ende habe ich unser drittes Kind tatsächlich im Stehen geboren. Gleichzeitig mit der Geburt ist dann auch die Fruchtblase geplatzt und so hat Dominik den Kleinen aufgefangen und ihn mir in die Hände gedrückt.
Direkt nach der Geburt fällt die ganze Dramatik ab und eine neue Ära beginnt. Plötzlich ist man nicht mehr schwanger, das Kind ist da und man kann es sich schon nicht mehr vorstellen dass es mal in den Bauch gepasst haben soll.
Bis zu dem Zeitpunkt wussten wir ja noch nicht was es wird und so verriet uns ein Blick, dass wir einen Jungen bekommen hatten. Einen Sohn, wer hätte das gedacht!
Ungefähr 45 Minuten nach der Geburt haben wir die Nabelschnur durchgeschnitten, etwa 10cm vom Bauch des Babys entfernt. Die Plazenta kam dann nochmal eine halbe Stunde später.
Insgesamt haben wir nicht viel gebraucht für die Geburt, hauptsächlich uns selbst. Ich denke ohne Dominik hätte ich es nicht so gut geschafft, er hat mir vorallem in der letzten Phase großen Halt gegeben. So war es bei allen drei Geburten gewesen, dass ich mich an ihm festhalten konnte und er mich gehalten hat, hat mir die Kraft gegeben es durchzustehen.
Dieser Weg es so zu machen hat uns auf jeden Fall voll entsprochen. Es gab keine Rituale oder Protokolle die wir einhalten mussten, es wurde nichts zelebriert. Wir haben einfach so in unserem Alltag ein Kind dazubekommen und ob dabei der Fernsehr lief oder nicht war mir persönlich total egal. Ich habe das nicht mitbekommen. Ich glaube draußen vor dem Fenster war eine Baustelle zugange und kurz nach der Geburt wurde bei den Nachbarn eine neue Küche geliefert. Es hat jedenfalls niemand mitbekommen, dass sich in unmittelbarer Nähe ein neuer Erdenbürger präsentiert hat.
So haben wir eine Alleingeburt gemeistert und das in einem Land, wo die Kaiserschnittrate ziemlich hoch ist und ich es daher fast mutiger finde ins Krankenhaus zu gehen als zu Hause zu bleiben. Jedenfalls haben wir endlich mal wieder etwas gemacht, was unserem Motto „Mast be crazy“ entspricht.
Unser kleiner Sohn wurde zwei Tage nach der Geburt von einem Kinderarzt beäugt, der ihn als gesund und „alles so wie es sein soll“ befunden hat. Außerdem haben wir dann erfahren dass ich einen 4300 gramm Brummer geboren hatte, was mir aber zu dem Zeitpunkt der Geburt nicht sonderlich aufgefallen ist. Die wichtigste Amtshandlung des Kinderarztes war die Geburtsbestätigung, ohne die wir unser Kind nicht legalisieren können.
Jetzt knapp drei Wochen nach der Geburt geht es uns allen gut, wir haben uns schon aneinander gewöhnt und sind froh jetzt zu fünft zu sein.
Ganz viele liebe Grüße in alle Richtungen,
Eure Mirjam