Besuch bei der Nachbarin
Das bisher intensivste Erlebnis für mich war bisher, die für mich unerwartete spontane Einladung zum Tee in die Wohnung der Nachbarn direkt neben uns. Der Mann war gerade dabei, auf dem Balkon ein Feuer in einer Feuerschale oder einer Art Grill anzuzünden und das hatte unsere Neugier geweckt, während wir im Garten waren. Er fragte mich, ob wir Russen seien. Auch die andere Nachbarin hatte mich das gefragt.
Als er hörte, dass wir deutsch sind, winkte er mich rein und sagte, irgendwas mit Kaffee oder Tee.
Auf dem Weg nach drinnen schlüpfte ich dann doch nochmal schnell in unsere Wohnung, um mir eine lange Hose anzuziehen, ich wusste auch von der Frau, dass sie stets streng das Kopftuch trug.
Mit allen drei Kindern wurde ich also in die Wohnung gebeten und ich betrat eine andere Welt. Sehr orientalisch eingerichtet mit blau, weiß und Gold. Traditionsgemäß lief der Fernseher mit arabischen Kinderliedern auf YouTube. Meine Kinder waren gleich begeistert und klemmten sich davor. Die Nachbarn haben auch zwei Mädchen, Vier und ein Jahr alt. Für die Kinder gab es praktisch kein Spielzeug, die hingen vor dem TV oder einfach so da irgendwo rum.
Ich wurde auf das Sofa gesetzt, die Nachbarin werkelte in der Küche im gleichen Raum und der Mann war auf dem Balkon mit der männlichen Tätigkeit des Grillens beschäftigt.
Ich erfuhr, dass die Familie aus Syrien kommt. Sich zu verständigen war nicht leicht, Englisch bringt mich hier kein Stück weiter und mein Arabisch lässt auch zu wünschen übrig. Schließlich ging es mit Google translate, aber die Kombination Arabisch – Deutsch ist scheinbar nicht so gut ausgereift, also eher schlecht als recht. Sie erzählten mir, dass sie nach Deutschland wollen, weil sie in der Türkei nicht gut behandelt werden. Er fragte mich, ob ich denke, dass man es schaffen kann. Ich konnte nur sagen, dass ich keine Ahnung habe. Für uns ist es selbstverständlich, dass wir jederzeit dort einreisen können, und sie können einfach nicht dahin.
In der Zwischenzeit bekam ich Limonade, Ayran und Baklava vorgesetzt. Ich hatte eigentlich keinen Hunger, aber ich probierte trotzdem davon. Als sie dann die Fleischspieße auf den Beistelltisch stellte, musste ich schlucken. Seit ewigen Jahren esse ich vegetarisch aber ich wusste nicht wie ich das jetzt hätte erklären können. Ich sagte also danke und lehnte ab, aber sie bestand drauf. Als ich mir nichts nahm, machte sie etwas von dem Spieß ab und gab es mir in die Hand. Nun gut, ich wollte auch nicht unhöflich sein und habe es tatsächlich probiert. Luna wollte wissen was das ist, und als ich ihr sagte dass es Fleisch ist, sagte sie, nein, ich esse kein Fleisch. Sie hat sich jedenfalls nicht überreden lassen, obwohl die Nachbarin natürlich auch die Kinder ermuntert hat.
Ich fand es spannend, die Gastfreundschaft zu erfahren, obwohl es ja eigentlich keine türkische Wohnung war, in der ich mich befand. Ehrlich gesagt hätte ich das aber nicht gemerkt, wenn sie mir das nicht gesagt hätten. Sie spricht mit den Kindern arabisch, aber das wäre mir wahrscheinlich auch weiter nicht aufgefallen, weil die Kinder meistens nur kurze Befehle erhalten.
Seitdem war ich noch zwei mal bei ihr zu Besuch gewesen. Die beiden anderen Male war der Mann nicht da. Es war klar, dass ich als Frau die Möglichkeit habe dort zu sein, Dominik ist brav zu Hause geblieben und hat in der Zeit gearbeitet.
Ich fand es interessant zu sehen, dass die Nachbarin ihr Kopftuch in der Wohnung nicht abgelegt hat, es aber ein bisschen lockerer hinter dem Hals zusammen gebunden hat.
Bei beiden Besuchen waren auch noch andere Frauen aus dem Haus dort und ich habe gesehen, dass sie sich wohl gegenseitig bei Laune halten, weil sie auch alle zu Hause sind die ganze Zeit.
Bei dem dritten Mal war eine Mutter mit drei Mädchen aus dem Haus dort, sie trägt immer einen schwarzen Tşador, also einen Ganzkörperschleier der das Gesicht frei lässt. Yannik war die ganze Zeit etwas unruhig, ich glaube er hatte Angst vor ihr. Diese Frau war aber sehr nett und wollte auch einge Sachen von mir wissen. Mit dem Handy konnten wir dann Licht in einiges Dunkle bringen und ansonsten habe ich tatsächlich ein paar ihrer Fragen irgendwie auch so verstanden. Erst zum Schluss, als sie beim Aufstehen so umständlich tat und ich sie fragte ob sie Schmerzen in den Beinen hat, bedeutete sie mir, dass sie schwanger sei. Jetzt sah ich es auch, und lange kann es nicht mehr dauern bis zur Geburt. Ich hatte sie schon öfter gesehen, aber der Schleier hatte diese Tatsache erfolgreich verborgen.
Auffällig war noch, dass kurz vor Ende des Besuchs jemand an der Tür klingelte und alle Kopftücher und Schleier sofort penibel an Ort und Stelle gerückt wurden. Es war der Mann der Nachbarin. Er wurde dann ins Schlafzimmer gesetzt, mit Tee bewirtet, und die Schwarzverschleierte ist dann nach Hause gehuscht, ohne dass der Mann sie zu Gesicht bekommen hat. Ich bin dann lieber auch gegangen, ich hatte ja nicht mal einen Schleier unter dem ich mich verstecken hätte können.
Die Kinder haben sich jedenfalls über die unvermutete Gelegenheit zum fernsehen sehr gefreut, ob das jetzt arabisch war spielte keine Rolle. Wie ich herausfand gehört es zum guten Ton, dass der Fernseher läuft wenn Gäste kommen, sie wollen ja unterhalten werden. Den Frauen fiel auf, dass meine Kinder sehr gebannt auf den Bildschirm starrten und begeistert bei jeder Katze oder jedem Auto hinzeigten. Ob es in Deutschland keine Fernseher gibt, fragte sie mich. Ich sagte, doch in Deutschland gibt es viele, nur diese drei Kinder haben keinen. Ich glaube sie haben sich sehr gewundert und verstanden haben sie es bestimmt nicht.